Steht auf, tut was! Förderung für Quartiersprojekte bedroht

Berliner Quartiersräte, Anwohner, Ehrenamtliche, Projekte und Quartiersmanager wollen sich gegen Kürzungen bei der “Sozialen Stadt” wehren. Am 21.9. trafen sich Anwohner, Ehrenamtliche, Quartiersräte und Projekte mit Bundestagsabgeordneten, Quartiersmanagern und Verantwortlichen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Auf einer Podiumsdiskussion im Schöneberger Zwölf-Apostel-Gemeindezentrum forderten sie: “Rettet die Soziale Stadt!”.

Wir müssen gemeinsam gegen die geplanten Kürzungen aktiv werden - darin waren sich alle einig.Geladen hatte der Arbeitskreis der Berliner Quartiersmanager. Seine Sprecher Uli Lautenschläger und Theo Winters beschrieben die dramatische Lage: Wenn Bundesbauminister Ramsauer tatsächlich die Hälfte der deutschen Städtebauförderung zusammenstreicht, dann sieht es düster aus für die 34 Berliner “Soziale Stadt”-Quartiere, für hunderte Quartiersprojekte und nicht zuletzt für so wichtige Ziele wie Integration, Bildung und Ehrenamt. Denn schon im nächsten Jahr sollen die Fördermittel von 610 auf 305 Mio. € gekürzt werden.

Warum Berlin nicht auf diese Förderung verzichten kann

Die Warum Berlin nicht auf diese Förderung verzichten kann, erklärten anschließend drei Aktive aus den Quartieren. Gharam Hannaoui ist eine zierliche Frau, dreifache Mutter und vierfache Großmutter. In ziemlich perfektem Deutsch erzählt die Libanesin von ihrer Arbeit als “Stadtteilmutter” in Neukölln. Bis zu zehnmal besucht sie Einwandererfamilien, die ihre Beratung möchten. Sie hätte sich solch eine Unterstützung früher selbst gewünscht, jetzt ist sie froh, anderen als Brückenbauerin helfen zu können.
Das preisgekrönte Projekt “Stadtteilmütter” schulte bereits 180 Frauen, um Informationen und Angebote der frühkindlichen Förderung, Bildung, Gesundheit und Integration praxisnah und auf Augenhöhe zu vermitteln. Durch die enge Kooperation mit dem JobCenter Neukölln ist es möglich, die Stadtteilmütter über geförderte Beschäftigungsmaßnahmen anzustellen, für sehr viele der Frauen ist dies der erste eigene Arbeitsvertrag, das erste selbst verdiente Einkommen.

... die Jona Vantard ist ein etwas schüchterner junger Mann von vielleicht 17 Jahren, der begeistert von seinen Erfahrungen im Projekt “Sprachstube Deutsch” erzählt. Er betreut als einer von vielen jugendlichen Sprachförderern deutscher und nichtdeutscher Herkunft einen vierjährigen Jungen aus Angola und freut sich über erste Fortschritte. Bei der “Sprachstube Deutsch” profitieren nicht nur die betreuten Kinder. Hier erwerben Jugendliche erste pädagogische und interkulturelle Kompetenzen, und wer weiß – vielleicht macht das Jona so viel Spaß, dass er später Lehrer oder Sozialarbeiter wird.
Can Akca ist eigentlich Diplom-Kaufmann, doch jetzt organisiert der dynamische 30-Jährige die “Bolzplatzliga” in den drei Spandauer QM-Gebieten. Rund 500 Kinder und Jugendliche, viele mit Migrationshintergrund, wurden von der Straße auf die Bolzplätze geholt. Neben dem Sport lernen sie hier mit Konflikten umzugehen und Teamplayer zu werden. Er möchte nicht daran denken, was es bedeuten würde, wenn solche Quartiersprojekte nun nicht mehr gefördert werden.

Fördermittel erhöhen statt streichen

Die Streichung von Fördermitteln hätte auch langfristig fatale Folgen, so die Meinung von Quartiersrats-Mitgliedern und Politiker/innen.In den Berliner Quartieren der “Sozialen Stadt” werden hunderte solcher praktischen Maßnahmen umgesetzt, um Bildung, Chancengleichheit und Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen. Gewählte Quartiersräte aus Bürgern und Initiativen entscheiden mit über den Einsatz der Fördermittel. Neben Projekten und Aktionen z.B. in den Bereichen Bildung, Kultur, Integration werden Spielplätze saniert oder öffentliche Räume bewohnerfreundlicher gestaltet.
Wenn die Politiker es wirklich ernst meinen mit dem, was täglich in den Medien zu Bildung und Integration diskutiert wird, dann müssten die Fördermittel eigentlich aufgestockt statt gekürzt werden. Nicht nur die anwesenden Bundestagsabgeordneten waren da einer Meinung. Auch die Konferenz der Bundesbauminister mit ihrer Sprecherin, der Berliner Senatorin Ingeborg Junge-Reyer, hat Ramsauers Sparpläne am 3.9. einstimmig abgelehnt.

Lisa Paus, Bundestagsabgeordnete der Gruenen, erklärte die Hintergründe der Sparankündigung. So sind alle Ministerien verpflichtet, Sparvorschläge zu machen: Das Bundesverkehrs- und Baumministerium hat sich scheinbar entschieden, teuren Verkehrsprojekten den Vorrang zu geben und lieber beim Städtebau zu kürzen. Doch selbst in der CDU regt sich Widerstand dagegen. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Kai Wegener, der an diesem Abend leider verhindert war, hat sich beispielsweise für die “Soziale Stadt” ausgesprochen.

Gibt es denn überhaupt Möglichkeiten, auf die Sparentscheidung Einfluss zu nehmen?

Ja, wenn viele aktiv werden, bringt das was - darin waren sich (v.l.n.r.) Sven Dietrich (Linke), Swen Schulz (SPD) und Lisa Paus (Grüne) einig.Der SPD-Bundestagsabgeordnete Swen Schulz empfahl den Anwesenden, per Briefen und Mails direkten Einfluss auf die Parlamentarier zu nehmen. (Adressen unter: www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete17/index.jsp oder www.abgeordnetenwatch.de )
Sven Dietrich, Assistent der Linken im Bundestag, nannte als positives Beispiel das Wohngeldgesetz. Es wurde nachgebessert, nachdem die Opposition eine Anhörung erwirkt hatte. Zumindest ein Teil der Kürzungen könnte zurückgenommen werden, so auch die Vermutung von Franziska Eichstätt-Bohlig, für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie schlug vor, lieber bei der Wohnungsbauprämie zu sparen. Dem schloss sich Staatssekretärin Hella Dunger-Löper (SPD) an: Sie glaubt, dass einhelliger Protest nicht ohne Eindruck auf die Verantwortlichen bleibt und hofft auf eine Korrektur der Mittelkürzung.

Quartiersräte wollen aktiv werden

Unterschriftenlisten, Protestbriefe, Einladungen an Politiker oder Besuche öffentlicher Sitzungen: Die Betroffenen wollen sich wehren. Die anwesenden Quartiersrät/innen waren sich einig, dass die Sparpläne kontraproduktiv sind. Sie kennen ihre Kieze und glauben, dass die Folgekosten für die Gesellschaft viel höher wären. Sie wollen nicht darauf warten, dass die Kommunen ihre Probleme mit eigenen Mitteln lösen und mahnen, nicht auf die EU-Mittel zu verzichten, die in die Städtebauförderung einfließen. Natürlich hoffen sie, dass ihr ehrenamtliches Engagement nicht umsonst war. Deshalb wollen sie jetzt Offene Briefe formulieren, Unterschriften sammeln und Proteste organisieren. Gerne werden die Quartiersrät/innen Bauminister Ramsauer einladen oder ihn auch selber besuchen, um ihm den sozialen und marktwirtschaftlichen Wert der “Sozialen Stadt” und ihrer Bewohner/innen ans Herz zu legen.
Der Arbeitskreis der Berliner Quartiersmanager (AKQ) unterstützt diese Aktionen. Aktiv werden müssen aber vor allem die Menschen in den Quartieren. Bis zur Beratung im Haushaltsausschuss am 27.10. ist nicht mehr viel Zeit – also los!
– Wir werden geplante Aktionen, an denen Sie sich beteiligen können – ob von Menschen hier aus dem Quartier oder gebietsübergreifende Ideen – online bekannt geben.
Bitte melden Sie uns Mitmach-Angebote, damit wir sie veröffentlichen können – und schauen Sie immer mal wieder hier im Internet nach!

zuerst veröffentlicht auf  auf der Seite des Quartiers Sparrplatz im Wedding

Text: Anne Wispler, Fotos: Susanne Wolkenhauer